Lagerhaus
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der achten Station "Lagerhaus".
LAGERHAUS
Ab 1848 befassten sich der Kommunalbeamte Friedrich Wilhelm Raiffeisen und der Jurist und Politiker Herrmann Schulze-Delitzsch mit dem Aufbau von ländlichen Genossenschaften. Ihr Ziel war es, für Landwirte bessere Konditionen beim Einkauf von Saatgut und Düngemittel zu schaffen und die kollektive Vermarktung von Ernteprodukten zu stärken. Zu diesem Zweck wurde 1885 hier im Ort ein ländlicher Kreditverein gegründet. Gegen eine Gebühr von 2 Mark konnte jeder Bürger Mitglied der Genossenschaft werden und damit ein Darlehen von bis zu 800 Mark aufnehmen. Aus dem Kreditverein ging später die Spar- und Darlehenskasse Gerichtstetten hervor, die nicht nur Kredite vergab, sondern auch Möglichkeiten der Geldanlage schaffte, was gern genutzt wurde. Auf die Einlagen gab es 1895 Zinsen in Höhe von 3,25 Prozent, Darlehen wurden mit 4,25 Prozent verzinst. Von 87 Mitgliedern im Gründungsjahr wuchs der Verein bis 1934 auf 140 Mitglieder. Aus den von Friedrich Wilhelm Raiffeisen gegründeten Genossenschaften gingen später die Raiffeisenbanken hervor, während die Volksbanken aus den von Herrmann Schulze- Delitzsch ins Leben gerufene Spar- und Kreditvereine entstanden. Beide Banken waren nach dem gleichen Prinzip entstanden und fusionierten später.
Als es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Wirtschaft – und damit auch mit der Landwirtschaft – wieder aufwärts ging, stieg auch die Nachfrage nach Viehfutter, Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz- mittel. Besonders der Einsatz von Kunstdünger hatte nach der Jahr- hundertwende zugenommen. Außerdem wurden durch die Flurbereinigung größere Ackerflächen geschaffen, die den Einsatz von größeren und moderneren Landwirtschaftsmaschinen nicht nur ermöglichten, sondern – aus Effizienzgründen – sogar erforderten. Um dem neuen Bedarf gerecht zu werden, war ein großes Lagerhaus notwendig, in dem die benötigten Betriebsmittel vorrätig gehalten und an den Mann gebracht werden konnten.
So baute die badische Raiffeisengenossenschaft 1959 ein Genossenschaftshaus im Tal rechts der Erfa, das im Ort von allen als Lager oder Lagerhaus bezeichnet wurde. Hier gab es alles, was für den Unterhalt eines landwirtschaftlichen Betriebs notwendig war. Im oberen Stockwerk waren die große Lagerhalle und die Räume der Raiffeisenbank untergebracht; hier wurde auch das monatliche Milchgeld an die Milchablieferer ausgezahlt. In den unteren Räumen gab es eine Waschküche mit drei Waschmaschinen, die von allen genutzt werden konnten. Daneben befand sich außerdem eine Gemeinschaftsgefrieranlage mit etwa 60 Gefriertruhen und einem großen Kühlraum für Großviehschlachtungen. Für die Menschen im Ort, die sich damals weder einen Kühlschrank noch eine Waschmaschine für den Privathaushalt hätten leisten können, war das ein großer Fortschritt. Ab sofort konnten sie hier ihre Wäsche waschen und ihren Fleischvorrat für das ganze Jahr haltbar machen.
Die Waschküche und die Gefrieranlage im Lagerhaus wurden in den 80er Jahren aufgelöst, als solche Haushaltsgeräte endlich für jedermann leistbar wurden. Schließlich hat die Raiffeisengenossenschaft auch den Lagerraum geschlossen, denn durch den industriellen Wandel gaben viele Kleinlandwirte ihre Höfe auf und fanden statt- dessen einen Arbeitsplatz mit gesichertem Einkommen in Industrieunternehmen oder Baufirmen der näheren Umgebung. Die Raiffeisenbank sollte aber weitergeführt werden und zog deshalb an den neuen Brunnen am heutigen Dorfplatz. Das leergewordene Gebäude wurde verkauft und um das Jahr 2000 in Eigentumswohnungen umgebaut.
Seitdem die Sparkasse gegenüber vom Rathaus 2014 geschlossen wurde und 2017 auch die Raiffeisenbank ihre Geschäftsräume endgültig aufgab, gibt es in Gerichtstetten keine Bankfiliale mehr.
Wie haben unsere Urgroßeltern Landwirtschaft betrieben?
Zwischen 1850 und 1900 wurde es üblich, in Zeitungsanzeigen für land- wirtschaftliche Maschinen und Geräte zu werben. Immer wieder gab es technische Verbesserungen, die die Arbeitsweise vereinfachten. Vor diesem Wandel warf man das Getreide mit der Holzschaufel in den Wind – damit wurde ein Großteil der Spreu weggeweht. Die Feinarbeit erledigten anschließend weit- und feinmaschige Siebe, die Stroh und Unkrautsamen von den Getreidekörnern trennten. Eine erste Errungenschaft war die 1832 angeschaffte Frucht- und Putzmühle für die Scheuer des Amthauses. Das Windrad wurde per Hand mit einer Kurbel gedreht; während die leichte Spreu vorne rausflog, rutschten die schweren Körner im hinteren Teil nach unten. Für das Zerquetschen der Ölfrüchte, wie Bucheckern und Leinsamen, besaß der Ölmüller einen von Pferden oder Ochsen angetriebenen Göpel.