Kappelhütte
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der sechzehnten Station "Kappelhütte".
KAPPELHÜTTE
Schon immer war der Wald für die Menschen in diesem Landstrich von großer Bedeutung. Bereits die Kelten schätzten das Holz als viel- seitigen Baustoff; sie stellten daraus robuste Fässer und Werkzeuge her und bauten Holzkammern für ihre Toten. Auch im Mittelalter wurde das Holz unserer Wälder für die verschiedensten Zwecke verwendet: zum Heizen, Backen und Wäsche waschen, beim Bau von Wagen, Häusern und Kirchen oder zum Schnitzen von Heiligenstatuen und dekorativen Gegenständen. Nachdem das Französische Reich in den Napoleonischen Kriegen zwischen 1803 und 1815 gegen mehrere europäische Mächte gekämpft hatte – und so auch gegen das Großherzogtum Baden – stand unsere Gemeinde vor einem großen Schuldenberg. Auch in diesem Zusammenhang stellte sich der Wald als wertvolle Ressource heraus, denn durch den Verkauf von Holz konnte sich das Dorf aus der Misere retten.
Der Kappelwald rund um die Kappelhütte war lange Zeit ein sagenumwobener Ort. In den 1930er Jahren kursierten unter den Schülern verschiedene Geistergeschichten, darunter auch diese:
Ein Schäfer hatte in einer der Wirtschaften im Dorf über Gott, den Teufel und den Geisterglauben der Leute gespottet und mit seinem Mut geprahlt. So forderten ihn die anderen Männer zu einer Mutprobe auf.
Als Beweis für seine Furchtlosigkeit sollte er hinter die Kappel gehen, wo den Erzählungen nach ein Geist umherging. Um Mitternacht brach der Schäfer mit seinen Hunden auf und ging in den Kappelwald. Er war gerade dort angekommen, als ihm plötzlich ein schwarzer Mann erschien! Ein Geist? Oder vielleicht ein Einsiedler? Da packte ihn die Furcht und er flüchtete mit seinen Hunden so schnell er nur konnte. Ab dieser Nacht hörte der Schäfer nicht nur mit dem Spott und der Prahlerei auf, sondern er ging nie wieder allein hinter die Kappel.
Zum Glück wuchs im Laufe der Jahre der Freizeit- und Erholungswert des Waldes und die Geistergeschichten gerieten mehr und mehr in Vergessenheit. Im Zuge der Flurbereinigung in den 70er und 80er Jahren errichtete die Gemeinde hier im Wald die Anlage mit Hütte, Brunnen, Feuerstelle und Zeltplatz. Damals wurde die Kappelhütte gern als Ferienlager genutzt, heute werden hier vor allem private Feste wie Polterabende, Geburtstage oder Grillabende gefeiert. 2008 wurde die Hütte von den örtlichen Vereinen und der Gemeinde restauriert und mit neuen Bänken und Tischen ausgestattet.
Nicht weit entfernt von hier, am Ortsrand Richtung Erfeld, befand sich bis 1972 eine Schäferei, aus der möglicherweise auch der verängstigte Schäfer stammte. Obwohl es im Mittelalter beinahe in jedem Dorf einen Viehhirten gab, der Schafe, Schweine oder Rinder hütete und mit Geld- oder Getreidegaben der örtlichen Ackerbauern besoldet wurde, hatte Gerichtstetten lange keinen eigenen Schäfer. Deshalb hatte ab dem 14. Jh. der Schäfer vom Hof Schwarzenbrunn das Weiderecht in unserem Ort erworben. Das änderte sich wohl mit der Zeit, denn ab dem Ende des 16. Jh. wurden in den Gerichtstetter Häuserlisten und Standesbüchern immer wieder Schafhöfe oder Schäfer erwähnt. Manche davon unterstanden dem Kurfürstentum Pfalz, andere der Grafschaft Wertheim. Es ist davon auszugehen, dass sich die zwei Herrschaften – neben vielen anderen Dingen – auch um das Recht der Schäferei gestritten haben. Nachdem Gerichtstetten 1806 an das Großherzogtum Baden gefallen war, konnte man die alten herrschaftlichen Schäfereien zwar nicht abschaffen, doch die Gemeinde erhielt die Erlaubnis, eine eigene Schäferei zu betreiben oder das Recht zur Schäferei an Grundstücksbesitzer zu vergeben. So gab es ab sofort einen Gemeindeschäfer. Mangels einer eigenen Scheune musste er in den ersten Jahren seine 200 Schafe über den Winter bei den Bauern im Ort unterbringen. Im Laufe der Zeit gab es viele Schäfer, einige davon waren aus der Umgebung zugezogen. Der letzte Schäfer war Wendelin Schreck, dessen Vater 1928 die Schafscheune am Ortsrand Richtung Erfeld errichtet hatte.
Gab es den Einsiedler im Kappelwald wirklich?
Bereits 1662 wurde die Heiligenwiese bei der Kappel erwähnt. Das Wort Kappel geht auf die Kapelle zurück, die hier im Wald stand (Kappel = Kapelle). Die Kapelle muss also schon vor dem 30-jährigen Krieg und der Reformation erbaut worden sein. Einer alten Sage nach soll neben der Kapelle das Haus eines Einsiedlers gestanden haben, der hier im Wald lebte. Möglich wäre es, denn oberhalb der Hütte befinden sich noch die Reste eines alten Mauerwerks. Der Wald bot Schutz, Holz und Nahrung, die Quelle in den Heiligenwiesen lieferte Wasser. So könnte sich der Einsiedler trotz der Abgeschiedenheit versorgt haben. Viele Katholiken kamen wohl zu ihm, um Rat zu suchen und mit ihm zu beten. Das Glöckchen der Kapelle soll in die Erfelder Kirche gekommen sein.