Gasthaus "Grüner Baum" | Alte Post
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der sechsten Station Gasthaus "Grüner Baum" und "Alte Post".
GASTHAUS "GRÜNER BAUM" | ALTE POST
Hier am Berg betrieb Johann Adam Rudolf ab 1762 eine der vier Schankwirtschaften im Ort. Im Jahr 1827 erhielt sein Sohn und Bäckermeister Bernhard die Schildgerechtigkeit, mit der er den Gästen auch Herberge und warme Speisen anbieten durfte. Viele Wirte waren damals zugleich Bäcker oder Metzger und so besaß auch Bernhard neben der Gastwirtschaft noch eine eigene Bäckerei. Sein Sohn Johann, ebenfalls Bäckermeister, wurde sein Nachfolger. Er war zusätzlich noch Landwirt, was in dieser Zeit nicht ungewöhnlich war, denn die meisten Dorfbewohner bewirtschafteten ein Stückchen Land. Doch Johanns Frau erkrankte und starb, bevor die Kinder groß genug waren, um die Gastwirtschaft zu übernehmen. Weil es ohne die Mithilfe seiner Frau als Wirtin nicht möglich war den Betrieb fortzuführen, übergab Johann das Gasthaus kurz vor ihrem Tod an seinen Bruder Franz Valtin und dessen Frau. Die Ehe der beiden blieb kinderlos, sodass 1864 der Bäcker Johann Anton, Neffe von Franz Valtin und inzwischen erwachsener Sohn des früheren Wirts Johann, das Gasthaus übernahm und "Baumwirt" wurde. Im Gegensatz zu seinem Onkel bekam Johann Anton mit seiner Frau Berta 17 Kinder, doch bei der Nachfolge hatte er genauso wenig Glück. Sieben seiner Kinder starben schon sehr früh, alle anderen zogen weg. So wurde die Wirtschaft 1868 an Andreas Rudolf, einen Verwandten, und seine Frau Karolina übergeben. Er kam schon bald in wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste das Gasthaus nach nur zwei Jahren schließen. 1880 wurde die Wirtschaft versteigert. Der inzwischen verwitwete Andreas wanderte mit der einzigen Tochter Franziska nach Amerika aus. Doch seine Sehnsucht nach der Heimat war zu groß und so kehrten beide wieder zurück. Franziska heiratete 1891 den Schuster Joseph Heck und zog mit ihm und ihrem Vater in ein Haus an der Hauptstraße. Obwohl die Wirtschaft schon lange nicht mehr existierte, behielt Franziska den Hausnamen "Boamwert" (Dialekt für "Baumwirt") und vererbte diesen sogar an ihre Kinder und Enkelkinder weiter.
Mit Beginn der Großherzoglichen badischen Landpost 1859 war die Poststelle in der Nähe des jetzigen Brunnens. Besetzt war diese durch Ignaz Schretzmann, der zugleich auch Ratschreiber war. Das Post- wesen wurde 1872 auf die Kaiserliche Reichpostverwaltung übertragen und als Kaiserliche Postagentur weitergeführt. 1880 ersteigerte der Sohn von Ignaz Schretzmann, Postagent August Schretzmann, das ehemalige Gasthaus "Grüner Baum" und richtete hier am Berg 1881 die neue Postagentur ein. Zum Zustellbereich der Postagentur Gerichtstetten gehörten Erfeld und Schwarzenbrunn. Die Postversorgung erfolgte über die Postkutschenverbindung von Hardheim. Ab 1887 wurde die Postagentur mit einer "Telegraphenanstalt" mit beschränktem Tagesdienst (System Morse) ausgestattet. Der verwendete Code umfasste damals nur die zehn Ziffern, die übertragenen Zahlen mussten mit Hilfe einer Tabelle in Buchstaben und Wörter übersetzt werden. 1920 hielt die Kraftomnibusverbindung zwischen Hardheim und Eubigheim Einzug, die auch zur Postbeförderung benutzt wurde. Ab 1943 wurden alle Postsendungen mit einer Postleitzahl beschriftet. Die Umsetzung erfolgte meist erst nach Kriegsende bei Wiederaufnahme des Postverkehres. Für Gerichtstetten lautete die postamtliche Schreibweise "(17a) Gerichtstetten über Hardheim (Odenw.)" bis die Bundespost 1961 das vierstellige Postleitzahlensystem einführte (6969), was sich 1993 nach der Wiedervereinigung nochmals in das fünfstellige (74736) Postleitzahlensystem änderte. So blieb die Poststelle viele Jahre lang in der Zuständigkeit der Familie Schretzmann, bis Augusts Enkelin Klara, Paul Brell heiratete und die Poststelle in ihr neues Haus mitnahm. Klara führte bis zu ihrem Ruhestand die Poststelle in der Poststraße, ihr Bruder Alfred war für die Postzustellung in Gerichtstetten verantwortlich. Durch die Postreform III wurde die Poststelle Gerichtstetten 1998 geschlossen.
Wie waren die örtlichen Bäcker und Metzger um 1800 organisiert?
Die Handwerker aus Gerichtstetten gehörten den Zünften in Hardheim an. Die Zunft sorgte dafür, dass sich nicht zu viele Meister am gleichen Ort niederließen, außerdem regelte sie Arbeitszeiten, Produktqualität und Preise und übernahm die Witwenversorgung. In zeremoniellen Veranstaltungen wurden Streitigkeiten geschlichtet, Lehrlinge losgesprochen und Gesellen zum Meister gekürt. Nach bestandener Gesellenprüfung durften die neuen Gehilfen erstmals an der Gesellenversammlung teilnehmen und mussten manchmal auch unangenehme Aufnahmezeremonien über sich ergehen lassen. Nur wer ein Meisterstück angefertigt hatte, konnte einen Betrieb gründen. In Baden wurden die Zünfte 1863 abgeschafft, als die Forderung nach Gewerbefreiheit immer größer wurde. Dennoch hatten Zünfte lange eine große Bedeutung – viele Regeln und Bräuche gelten noch heute.