Bäckerei Seitz
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der vierzehneten Station "Bäckerei Seitz".
BÄCKEREI SEITZ
Viele Jahrhunderte lang war jeder Haushalt sein eigener Handwerker. Egal, ob es sich um Maurerarbeiten oder das Backen von Brot handelte – man erledigte, was zu erledigen war. Im frühen Mittel- alter bildeten sich die ersten kleinen Handwerksbetriebe, die auch Lehrlinge ausbildeten. Mit der Zeit schlossen sich die einzelnen Betriebe zu einer Zunft zusammen, in der sie einander unterstützten und ihre Verhandlungsposition gegenüber den Ortsherren stärkten. Damals war es üblich, dass Eltern für ihre Kinder eine Art Lehrgeld an den Meister zahlten, denn die Lehrlinge wurden in den Haushalt des Meisters aufgenommen. Nach bestandener Prüfung gingen die Gesellen traditionell auf die Walz, um ihr Fachwissen in anderen Betrieben zu erweitern. Nach der Rückkehr legten sie die Meisterprüfung ab und konnten schließlich ihren eigenen Betrieb eröffnen.
Einer dieser Handwerker war der Bäckermeister Franz Valentin Seitz. Er hatte die Bäckerskunst in der Bäckerei Leiblein in Hardheim erlernt und gründete hier 1884 einen Bäckereibetrieb. Er war allen bekannt als der "Hanschebeck", doch woher dieser Name stammt, weiß heute niemand mehr. 1892 wurde sein Sohn und Nachfolger Leonhard geboren. Wie viele andere im Dorf, waren beide nebenbei auch in der Landwirtschaft tätig, Leonhard wurde zudem Wiegemeister der Kleinviehwaage. Zeit dafür hatten sie wohl genug, denn bis in die 1930er Jahre hatte fast jedes Haus einen eigenen Backofen. Die zwei Bäcker im Ort, der "Blasebeck" Blasius Linsler und der "Hanschebeck" Leonhard Seitz, hatten also wenig Brot zu backen, außer wenn in der Familie die Mutter krank wurde oder aus anderen Gründen nicht backen konnte. Brezen und Brötchen wurden nur am Samstag gebacken oder wenn die Gasthäuser Back- waren benötigten. Eine typische Tradition waren die Gebildbrote: Neujahrsbrezen und Osterhasen aus Hefeteig, die die Kinder an Neujahr und Ostern von ihren Paten geschenkt bekamen.
Ein Backofenbauer, der im frühen 20. Jh. in der ganzen Gegend für seine Ofenbaukunst bekannt war, war Otto Fischer, der Schwiegervater von Leonhards Sohn Bernhard, der das Geschäft später mit seiner Frau Martha übernahm. Otto mauerte seine Öfen aus Back- stein, feuerfesten Steinen und Lehm. Das Besondere war der zweizügige Rauchabzug. Zum Backen wurde der Ofen erst gründlich aufgeheizt, danach holte man die noch glühenden Holzkohlen heraus und säuberte die Backfläche. Nach der Reinigung wurden die Rauchabzüge geschlossen, damit die Hitze beim Backen im Ofen blieb. Ein paar kleine Kohlereste setzten sich im Brotboden fest – sie sollten gut für die Verdauung sein –, die übrigen fanden im Bügeleisen Verwendung. Damit das Brot eine glänzende Kruste bekam, wurde es nach dem Backen mit Wasser bestrichen und noch einmal kurz in den Ofen geschoben.
Nach und nach wurden die alten Backöfen zu Hause immer weniger benutzt. Stattdessen fuhr man die vorbereiteten Brotlaibe und Kuchen auf der Holzschubkarre zu einem der örtlichen Bäcker, wo sie gebacken wurden. Fertiges Brot zu kaufen, wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg üblich. Auch bei uns im Dorf brachten noch bis in die 60er Jahre viele Haushalte ihre Teiglinge zum Bäcker, der meist einen Tag in der Woche für das sogenannte "Kundenbrot" einplante.
Nach dem frühen Tod von Bernhard Seitz im Jahr 1962 führte seine Frau das Geschäft weiter und wurde mit frischen Backwaren aus der Bäckerei Leiblein beliefert. Nachdem Sohn Alfred seine Meisterprüfung bestanden hatte, übernahm er 1979 die Bäckerei. Gemeinsam mit seiner Frau Petra ließ er das alte Gebäude abreißen und errichtete an der gleichen Stelle ein neues Wohn- und Geschäftshaus. Durch seine Backkünste konnte Alfred den Bedarf an Brot, Backwaren und Torten in Gerichtstetten wieder selbst decken. Im Laufe der Zeit eröffnete er weitere Filialen in der Umgebung und ist damit – ganz nach seinem Motto – "in aller Munde".
Was versteht man unter einem "Bäckerdutzend"?
Im Mittelalter entstanden Gesetze, die je nach Region harte Strafen vorsahen, wenn Mindestgrößen oder -gewichte nicht eingehalten wurden. Auch ein Bäcker machte sich damals strafbar, wenn seine Backwaren etwas kleiner als vorgeschrieben ausfielen oder er sich um ein Stück verzählte. So entstand nach und nach die Sitte, bei einem Dutzend bestellter Brote oder Brötchen zur Sicherheit ein weiteres Teil dazuzugeben. Der Käufer erhielt dann in Summe trotzdem die bestellte Menge an Backwaren und der Bäcker hatte keine Strafe zu befürchten. Daraus entstand wohl der Begriff „Bäckerdutzend", der eine Anzahl von 13 statt 12 Stück bezeichnet – vielleicht auch deshalb, weil man damit die Zahl 13, die als Unglückszahl gilt, umgehen konnte.